Künstliche Nähe oder die Tyrannei der Emotionen

Heutzutage sind wir irgendwie alle auf der Suche nach einem Lebenspartner, mit dem wir unser Leben teilen können. Oftmals sind wir durch gescheiterte Beziehungen und wenig soziale Kontakte in Versuchung geraten, uns des Internets als Hilfsmittel für die Partnersuche zu bedienen.

 

Es klingt ja auch durchaus verlockend, alles kann man auswählen, die Haarfarbe, die Körpergröße, das Gewicht und das Sternzeichen. Vom Familienstand mal ganz zu schweigen. Natürlich werden auch Hobbys und Lebensvorlieben, genau wie das Lieblingsessen abgefragt. Dann kann man noch den Umkreis angeben, bis zu dem man sich verlieben möchte und ein paar Klicks weiter, da sind Sie dann, die vorausgewählten Traummänner. Sortiert nach Alter oder sonstigen wichtigen Kriterien, welche ich wieder vorher genau festgelegt.

 

Vier werden angeboten, alle passen so ziemlich in das Bild was ich mir von meinem Traummann gemacht habe, alle sind von Gewicht und Größe her passend, verfügen über gesichertes Einkommen und sind frei. Zumindest haben Sie das angegeben. Also gut, ich kontaktiere nach der Sympathie (Bilder sind natürlich dabei) zunächst Thilo.

 

Er gibt an selbständig zu sein und unabhängig und natürlich offen für eine Beziehung. Sein Bild hat er für mich freischalten lassen und zu unserem ersten Date kommt er mit einem Jaguar. Eingelassen in die Türschwellen sind sein Vor- und Zuname. Diese Angaben scheinen also schon zu stimmen.

 

Alles in allem sprechen wir dreieinhalb Stunden auf der Terrasse eines Seecafes. Oder sollte ich sagen, spricht er. Ganze vier Sätze habe ich in dieser Zeit gesprochen und wer mich kennt, der weiß dass das für meine Verhältnisse sehr wenig ist. Großzügig hat er am Anfang unseres Gespräches bei der Bedienung zwei Kaffee bestellt und nach zwanzig Minuten und einem Seitenblick auf meinen Bauchansatz gemeint, er hätte gerne auch noch eine Currywurst mit Pommes und dass ich doch sicher schon gegessen hätte.

 

In den dreieinhalb Stunden unseres Aufenthaltes im Kaffee war die Bedienung vier mal am Tisch um zu fragen, ob wir noch etwas brauchen doch Thilo hat sie immer weggeschickt. Er ist also nicht nur ein grenzenloser Selbstdarsteller sondern obendrein noch egoistisch und geizig.

 

Zuhause angekommen ergänze ich meine Selbstgefertigte Liste mit den Eigenschaften die ich mir an meinem Traummann wünsche um die beiden Eigenschaften......zuhören können.......und .......großzügig. Dann treffe ich mich mit Suat, einem türkischen Geschäftsmann, er leitet eine große Spedition.

 

Suat ist wahnsinnig herzlich, nimmt mir meine anfängliche Scheu gleich durch eine liebevolle Umarmung und ein kleines Bussi auf den Mund. Angekommen im Restaurant, bittet er mich, mir etwas zu essen zu bestellen und isst auch selber, unbefangen quatscht er los und er kann auch zuhören. Das mit dem zuhören können und mit dem großzügig hat also schon geklappt, er ist der einzige, den ich nicht selbst auf meiner Liste platziert habe, er hat mich gezielt angeschrieben, und nicht locker gelassen über immerhin drei Tage.

 

Warum er mich gewählt hatte, das sollte ich bald merken. Ich war ganze 100 km weg von seinem Lebensumfeld und von seiner Spedition und das war genau das, was er wollte, sein komplettes eigenständiges Leben behalten. Abgesehen davon, hatte er in sexueller Hinsicht auch noch ein paar sofort von ihm offen angesprochenen Vorlieben, die nicht wirklich meiner Liste entsprachen. Also wieder nichts, ein Schuss in den Ofen. Aber da standen ja noch zwei weitere Traummänner aus meiner Liste. Auf zum nächsten. Das Bild, diese Augen, er hieß Holger und das Bild war einfach umwerfend.

 

Holger war es auch, das Bild war sicher einmal seines gewesen, schien aber in einer sehr glücklichen Phase aufgenommen. Er hatte auf dem Bild mindesten 15 kg weniger, mindestens 1500 Haare mehr und sah jetzt deutlich älter und unglücklicher aus. Geizig war er nicht, und er konnte auch zuhören aber nach dreißig Minuten bremste er mich in den Erzählungen über meine drei erwachsenen Kindern mit dem Satz: Ich glaub wir können das lassen, weil ich lebe von einer kleinen Rente und ich wollte dass du zu mir ziehst, damit wir mein Haus weiter renovieren können aber wenn du drei Kinder hast und die kommen dann immer zu Besuch, das ist mir zuviel. Ich wiederhole, wir kannten uns dreissig Minuten und der Mann spricht von "zusammenziehen". 

 

Na ich bin ja ein durchwegs positiver Mensch und schaue mir das Bild von Nummer vier an, sehr schön, schlank groß, dunkelhaarig, sportlich. Hat er mir nicht von Anfang an am besten gefallen? Seit dem Flop mit Holger habe ich jetzt schon eine Woche mit ihm gesprochen und geschrieben, er heißt Olli.......und er ist wahnsinnig nett, ich bin schon fast ein bisschen verliebt.

 

Wir treffen uns in 60 km Entfernung. Laut seinen Angaben ungefähr in der Mitte, nach meinen Berechnungen fährt er nur ungefähr 25 % der Strecke, die restlichen 75 % mache ich, aber das macht mir nichts aus, schließlich bin ich schon ein bisschen verliebt. Er schreibt immer so nett, kennt Philosophen, ist sehr belesen und allgemein wissend und und und. Und dann kommt er und wir gehen erst mal bei drei Grad plus 45 Minuten spazieren. Ich in dünner Hose und Trenchcoat, denn wir wollten ja zum Essen gehen, von vorher Wandertag war nichts ausgemacht.

 

Als wir im Lokal ankommen, ist auch Olli total verliebt und ich schleiche mich zur Toilette, von dem langen Spaziergang in der Kälte sind nicht nur meine Fingerspitzen und Zehen taub und blau, auch meine Nase hat gelitten, Sie läuft, ist ungefähr doppelt so groß als sonst und prangt völlig rot trotz verschmiertem Makeup mitten in meinem Gesicht. Wir essen zusammen, das Gespräch ist wirklich wunderbar und gerade als er mich zum Auto bringt, freue ich mich, endlich den Richtigen entdeckt zu haben. Vor dem Auto stehend wollten wir eine neue Verabredung ausmachen und aufgrund der Kälte und des mittlerweile eisigen Windes bitte ich Olli zum Gespräch in mein Auto.

 

Dort wird er sofort zudringlich, versucht mehrfach mich zu küssen und unter meine Bluse zu kommen mit den Worten, jetzt zier dich nicht, schließlich habe ich das Essen bezahlt und ein weiteres Treffen zwischen uns wird es erst geben, wenn ich mit dir Sex hatte, denn nur dann weiß ich, ob es sinnvoll ist oder nicht. Okay. Ein bisschen verliebt bin ich noch und finde insgeheim auch noch eine Entschuldigung, hatte ich vielleicht einen Blusenknopf zu viel auf oder, oder oder? Langer Rede kurzer Sinn. Meine vier Traummänner entpuppen sich im Nachhinein als Alptraummänner. 

 

Ich habe mich abgemeldet bei dieser Online Singlebörse. Hab lange mit Big Daddy gesprochen (den lieben Gott) und ihm mitgeteilt, dass wenn er möchte, dass ich mich nochmal verliebe, dann hätte ich gerne einen Menschen der so in mein Leben plumpst. Einfach da ist. Den ich anfassen, kennen lernen, riechen, schmecken kann. Jemand von dem ich nichts ankreuzen muss. Und dann ist ganz etwas wichtiges passiert.

 

Ich hatte es nicht gemerkt dass er schon längst da war. Robert, ein Freund. Seit vielen Monaten. Nicht erkannt, dass er mehr sein könnte als ein Freund. Ich habe ihm vom ersten Tag an vertraut, konnte ihm mein Herz ausschütten, mit ihm lachen, mit ihm traurig sein und auch einfach mal ein Frustbier trinken, wenn es mit seinen Internetbekanntschaften nicht so perfekt klappte. Ich gab ihm sogar noch Tipps, worauf er achten sollte.  Irgendwann hat er es erkannt. Irgendwann sagte er zu mir, dass er glaubt dass zwischen uns mehr möglich ist als nur Freundschaft, dass er seinen ganzen Internetkram gelöscht hatte und dass er gerade dabei ist sich in mich zu verlieben. Ich konnte nicht so schnell wie er aber auch ich traf irgendwann diese Entscheidung...........und..............wir sind glücklich zusammen.

 

Ganz wichtig ist jedoch folgendes: Im Internet hätten wir uns niemals kennengelernt. Robert ist fünf Zentimeter kleiner als ich. Das hätte ich schon aussortiert. Er hätte mich aussortiert, weil ich ihm viel zu chaotisch bin. Wir beide hätten uns im Netz sicher nicht gefunden, selbst wenn wir in derselben Kontaktbörse gewesen wären. Drum glaubt mir: Die Lösung liegt meist viel näher als wir vermuten, wir müssen nur die Augen aufmachen.